En debate con la educación universitaria en Colombia desde una perspectiva intercultural : el concepto de Bildung y Buen Vivir como narrativas alternativas al paradigma del Human Development
- Auseinandersetzung mit der universitären Bildung in Kolumbien aus einer interkulturellen Perspektive : Der klassische Bildungsbegriff und Gutes Lebens als alternative Narrative zum Human Development
Romero, Carlos Alberto; Fornet-Betancourt, Raúl (Thesis advisor); Meyer, Guido (Thesis advisor)
Aachen : RWTH Aachen University (2022)
Doktorarbeit
Dissertation, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen, 2022
Kurzfassung
Die Entwicklung eines abweichenden Narrativs bezogen auf die universitäre Bildung in Kolumbien ist erforderlich, um zur Umsetzung des Friedensabkommens beizutragen. Dazu wurden im Rahmen dieser Forschung das deutsche Bildungskonzept der Naturphilosophie (insbesondere nach Herder) und der lateinamerikanische Begriff des Buen Vivir (Gutes Leben) miteinander ins Gespräch gebracht. In Übereinstimmung mit den Hauptfragen der Dissertation wurde als methodologische Einfassung die interkulturelle Philosophie nach den Werken von Raúl Fornet-Betancourt gewählt. Um sich dem Bildungsbegriff anzunähern, wurde mit einer Vielzahl von vertretenen Narrativen in Lateinamerika gearbeitet, die von der transatlantischen Rezeption der europäischen Idee von Bildung und Erziehung bis hin zu der indigenen Perspektive des Guten Lebens reichen. Die Dissertation ist in vier Kapitel aufgeteilt. Zunächst erfolgt eine Einführung zur Klärung der übergeordneten Fragestellung und der Methodik. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit dem klassischen Bildungsbegriff und seiner Rezeption in Kolumbien. Inhalt des dritten Kapitels ist die Untersuchung des Konzepts des Human Development und die Beschreibung dessen als kolonial, um darüber hinaus den Einfluss in gesetzlichen und politischen Texten des universitären Bildungssystems nachzuweisen und somit die Auswirkungen dieser Praktiken im System aufzuzeigen. Im letzten Kapitel entfaltet sich die Pointe der Dissertation, indem Vorschläge zur Veränderung vorgebracht werden, die den Kern des kolumbianischen Universitätssystems betreffen. Gegenwärtig steht in Kolumbien und weltweit nicht zuletzt das Bildungssystem vor großen Herausforderungen und Erwartungen; das Bildungskonzept des Guten Lebens (Buen Vivir) liefert auf diese eine Antwort. Summa Kausai, (Inga, Putumayo), "allin kawsay" (Quechua) oder "Ñue Iyena" (Murui) halten vier Prinzipien fest, die sich im Alltag nur dann entfalten können, wenn ein zyklisches Zeitverständnis grundgelegt wird. Dieses Zeitverständnis umfasst noch andere Begriffe, z.B. eine Erinnerungskultur, die mithilfe von Tradition und Ritualen ein Innehalten ermöglicht, das zu einer steten Versöhnung mit der Natur beiträgt. Die vier Prinzipien lauten Relationalität (alle Lebewesen stehen miteinander in Verbindung), Reziprozität (das, was wir tun, wirkt sich auf andere aus und umgekehrt), Symmetrie (Menschen sind Teil der Natur, nicht ihre Herrscher) und Komplementarität (jedes Lebewesen hat seine eigene Funktion innerhalb des Lebenszyklus). Die Beziehung zwischen Menschen und Natur lässt sich auch in den Abhandlungen Herders nachvollziehen, der eine eigene Naturmetaphorologie (wie sie auch Goethe oder Schelling nutzten) anwendete. In diesem Sinne folgen die Narrative der Romantik und jene der gegenwärtigen indigenen Kosmogonie im Kern einem übereinstimmenden raumzeitlichen Konzept. Um das Konzept von Erinnerung bzw. Tradition zu untersuchen, werden einerseits die Rituale als Praktiken der Spiritualität der indigenen Bevölkerung, andererseits die Ästhetik auf Seiten der Romantik betrachtet. Mit Bezug auf die Komplementarität können Rituale sowie Ästhetik (Kunstwerke) in Zusammenhang gebracht werden. Aus diesem Grund wird in der Arbeit die Bildung der Menschheit als ein spiritueller, ästhetischer Akt verstanden. In der heutigen Zeit kann ein solcher Bildungsbegriff gar subversiv verstanden werden, weil er sich dem global wirksamen Paradigma des Human Development radikal entgegensetzt. Eine solche Auseinandersetzung ermöglicht eine neue Beschreibung des Menschen (eine Veränderung der Anthropologie), das sich vom funktionalen, mechanistischen, kalkulatorischen Bild dessen entfernt. Die interkulturelle Philosophie ist nicht nur eine Strömung bzw. Methodologie der Gegenwart, sondern auch ein politisches und ethisches Projekt, weshalb eine konkrete Veränderung der Praxis und der dahinterliegenden Narrativen des Bildungssystems angestrebt wird. Es existieren bereits lokale Initiativen (Etnoeducación, Educación propia, ciencia participativa etc.), allerdings werden diese in solchen Regionen (Peripherie) entwickelt, die im Zuge der zentralen politischen Restrukturierung des universitären Bildungssystems keine Beachtung finden. Allem voran versteht sich diese Forschungsarbeit als ein Versuch, die moderne, künstlich aufrecht erhaltene Trennung von (natur-)wissenschaftlichen Disziplinen und anderen Wissenszugängen zu überwinden. Diese Ideen können zu einem neuen Curriculum für eine lebendige, interkulturelle Universität Kolumbiens umgesetzt werden. Das Konzept des Guten Lebens im kolumbianischen Kontext lässt sich gut mit der Bedeutung von Bildung in der deutschen Romantik vergleichen: Die Bildungsauffassung der indigenen Völker beruht auf der komplexen Wechselwirkung von Spiritualität und ökologischer Gemeinschaft, weil die Spiritualität als Befreiung Grundlage für das komplementäre Verhältnis zwischen Individuum, Gesellschaft, Kultur und Natur in einem bestimmten Gebiet (Ökologie) ist. Daraus entsteht ein alternatives, komplexes und doch vollständiges Wissensmodell, das in der Neuorientierung der kolumbianischen Gesellschaft ein neues Konzept und damit Grundlage für ein alternatives Bildungsverständnis im universitären Kontext und in der Bildungspolitik sein kann.
Identifikationsnummern
- DOI: 10.18154/RWTH-2022-07742
- RWTH PUBLICATIONS: RWTH-2022-07742